Raubrittertum in der Familiendestination
Unterwegs, 27. Juni 2018: Moosalbi.ch wurde zugetragen, dass aktuell die Homologierung für das Kurtaxenreglement der Gemeinde Grächen laufe. Diese endet am Montag 9. Juli 2018! Auf den ersten Blick erscheinen die 46 Nächte vergleichsweise bescheiden. Wer jedoch genauer hinschaut, merkt bald, es wird erneut systematisch unvollständig wie falsch informiert und gerechnet.
Episode 1: Untransparenter Geschäftsbericht
Beginnen wir damit, dass die Tourismusdestination Grächen und St. Niklaus im Geschäftsjahr 2016/2017 fusionierten. Im Geschäftsbericht liest sich dies wie folgt: "In der Darstellung der finanziellen Ergebnisse ist seitens des Grächen Tourismusverein das komplette Geschäftsjahr (1. Mai 2016 – 30. April 2017) integriert, von Seiten Tourismus & Gewerbe St.Niklaus & Region ist das Halbjahr (1. November 2016 – 30. April 2017) abgebildet." An keiner Stelle ist ausgewiesen, wie Aufwand und Erträge zwischen Grächen und St. Niklaus im Verhältnis aussehen. Immerhin kann gesagt werden, die Wintersaison umfasst die wichtigste touristische Jahreszeit und St Niklaus umfasst "nur" 30% der Zweitwohnungen. Inwiefern dies bei den Kurtaxen berücksichtigt wird/ist, bleibt/ist unklar.
Episode 2: Plus bei Nächten nicht überprüfbar
Die Destination Grächen St. Niklaus weist im Geschäftsbericht 2016/17 auf Seite 4 ein Plus von einem Prozent bei den Logiernächten für die Zweitwohnungen aus. Absolut gesehen gab es 2016/17 ein Prozent mehr Kurtaxeneinnahmen, doch enthalten diese Zahlen (siehe Episode 1) eben auch die Gemeinde St. Niklaus.
Episode 3: Grächner Bettenmärchen
Anlässlich der Infoveranstaltung für die Zweitwohnenden in Grächen vom 14. Oktober 2017 weist die Gemeinde Grächen auf Seite 17 derem 4'854 Betten aus, wie diese Zahl errechnet wird, ist nicht ausgewiesen. Werden die fakturierten Betten auf Seite 27 kumuliert, so werden aber 5'069 Betten in Rechnung gestellt (272*2, 281*3, 481*4, 217*6, 64*7).
Kurz und gut, die Zahlen widersprechen sich, es werden mehr Betten in Rechnung gestellt als es effektiv gibt! Wow, da werden mal schnell gute 200 Betten daher gezaubert, toll gemacht, liebe Märchendestination.
Episode 4: 4.94 verrechnete Betten pro Objekt
Um die Anzahl der Betten pro Objekt zu berechnen, hat moosalbi.ch bislang die aktuellen Verkaufsobjekte von comparis.ch und das Vermietungsverzeichnis zur Errechnung der Betten pro Objekt herangezogen. Dabei ergaben sich in den Destinationen Bürchen und Leukerbad nur jeweils marginale Abweichungen bei Objektgrössen, die zum Verkauf bzw. zur Vermietung angeboten werden. Im Falle der Destination Grächen St. Niklaus kann das Vermietungsverzeichnis nicht herangezogen werden, weil die Online-Buchungsplattform keine Gesamtzahlen hergibt. Gemäss aktuellem Stand bei comparis.ch (27. Juni 2018) gibt es in der Destination Grächen St. Niklaus pro Objekt exakt 4.96 verrechnete Betten.
Episode 5: Ca. 9700 Betten in Grächen St. Niklaus
Auf der Homepage opendata.swiss gibt es unter der Rubrik Zweitwohnungen für die Destination Grächen St. Niklaus 1956 Zweitwohnungen. Bei 4.96 Betten pro Objekt gibt es in der Destination insgesamt 9702 Betten.
Episode 6: 588'868 Kurtaxen à 2.5 = 235'547 Nächte?
Die Kurtaxeneinnahmen betragen nach Geschäftsbericht 2016/17 588'868 Franken. Bei einem Ansatz von 2.5 pro Nacht gibt es 235'547 Nächte. Anlässlich der Info-Veranstaltung vom 14. Oktober 2017 werden auf Seite 17 für Grächen 146'562 Nächte für die vermieteten und 60'180 für die Pauschalen ausgewiesen, dies ergibt 206'742 Logiernächte. Damit ist belegt, dass in Grächen nur über 516'855 (206'742 * 2.5) Kurtaxeneinnahmen verfügt. Dennoch rechnet die Gemeinde fälschlicherweise mit dem Ertrag der Gesamtdestination von 588'868 (obwohl es diese Einnahmen aufgrund der Logiernächte nicht geben kann!) und "protzt" auch noch mit einem Plus von 1 Prozent (siehe Episode 2).
Episode 7: 24.3 Nächte pro Bett und Jahr in Grächen St. Niklaus
Werden die realisierten 235'547 Nächte der Destination durch die 9'702 Betten geteilt, so ergibt sich eine Belegung über 24.3 Nächten pro Bett und Jahr. Grächen verrechnet nun aber 46 Nächte (fast das Doppelte!), obwohl es diese Nächte in der Destination mit dem besten Willen nicht gibt. Fragt sich, wie Grächen zu derart märchenhaften Zahlen gelangt? Neben dem Grächner Bettenmärchen (Episode 3) und aufpolierten Nächten (Episode 6) dürfte die Gemeinde Grächen auch bei den Wohnungsgrössen in die Trickkiste greifen. Gemäss den Zahlen auf Seite 27, die anlässlich der Info-Veranstaltung vom 14. Oktober 2017 publiziert sind, läge der Anteil der 1- und 2-Zimmer-Wohnungen in Grächen bei 42.2 Prozent am Gesamtvolumen. Aufgrund der Verkaufsobjekte von comparis.ch gibt es von den 96 Objekten aber nur 17 Objekte, die in die Kategorie 1.5 oder 2.5 Zimmer fällt, d.h. realistischerweise umfassen diese Objekte nur 17.71 Prozent.
Aufgrund der Seite 27 anlässlich der Info-Veranstaltung gibt es in Grächen nur 64 Objekte mit 5 oder mehr Zimmern, der Anteil läge "nur" bei 4.85 Prozent. Die Zahlen bei comparis.ch sprechen eine komplett andere Sprache, dort machen die "grossen" Wohnungen die Hälfe aus. Ein ähnliches Bild ergibt sich auch, wenn bei den Vermietungen (Online-Portal Grächen) nachgesehen wird, wo es viele grosse Wohnungen und nur ganz wenig kleine Wohnungen gib. Eines ist klar, mit zu klein ausgewiesenen Objekten gibt es weniger Betten im Total und wo weniger Betten vorhanden sind, ergibt sich eine höhere Auslastung pro Bett und Jahr, auch wenn dabei die Märchenfee zum Raubritter mutiert.
Epilog: Ergaunerte Kurtaxen im Oberwallis
Moosalbi.ch hat bisher die Zahlen der Gemeinden Grächen, Goms, Bellwald, Leukerbad, Albinen, Varen, Saas Fee, Saas Grund, Saas Allmagell, Bürchen, Unterbäch und Törbel begutachtet. Nicht in einer Gemeinde stimmen die Zahlen auch nur annähernd. Die Gemeinden tricksen ganz massiv, obwohl von Anfang an klar war, dass a) die Pauschalisierung nicht mehr Nächte generieren kann und dass b) lediglich die Kurtaxe pro Nacht erhöht werden kann. Zwar fehlen (soweit moosalbi.ch bekannt) aktuell die Destinationen Aletsch und Zermatt (diese verzichteten bislang auf neue Reglemente). In allen anderen Gemeinden werden bereits seit vielen Monaten massiv Kurtaxen ergaunert. Der Kanton schaut weg und das Bundesgericht mahlt langsam.
Dabei geht es um hohe zweistellige Millionenbeträge alleine im Kanton Wallis. Nach altem Regime zahlte eine Familie knapp 200 Franken Kurtaxe pro Jahr. Mit den neuen Reglementen sind es im Schnitt 1'000 Franken mehr. Bei den ca. 100'000 Zweitwohnungen im Wallis ergibt dies satte 100 Mio. neue Kurtaxenerträge, obwohl bei einer Verdoppelung der Taxen (was das Gesetz allfällig zuliesse) im besten Falle 20 Mio. Mehreinnahmen generiert werden können. Mit anderen Worten: Im Endausbau, der nahezu erreicht ist, werden bei den Zweitwohnenden im Wallis ca. 80 Mio. Kurtaxen pro Jahr zu viel abkassiert.
Der Postauto-Skandal oder das Bündner Baukartell dagegen sind ein Klacks, denn (um hier die Brücke ins dortige Burgenland zu schlagen) in der Schweiz gibt es 704'080 Zweitwohnungen (offizielle Zahlen 1.1.2018). Selbst wenn nur 500'000 davon wie im Wallis abkassiert werden, geht es um einen ergaunerten Betrag von 400 Mio. pro Jahr in der Schweiz. Warum ist dies möglich? Die Presse in den Gebirgskantonen beschränkt sich auf die lokalisierten staatstreuen SRG-Ableger und monopolartig auftretende Alpentäler-Verlage, die nicht in Ansätzen auch nur halbwegs informieren. Fakten und Zahlen werden totgeschwiegen, wer sich wehrt, wird ins Lächerliche gezogen — in der Zwischenzeit ergaunern die Gemeinden unehelligt Kurtaxen à gogo. Hinzu kommt, die übrige Presse in der Schweiz interessiert sich gar nicht erst für entsprechende Belange. Die Fakten liegen seit Jahren auf moosalbi.ch, die lokale wie nationale Presse wurde x-fach angeschrieben, passiert ist (aus welchen Gründen auch immer) bislang nichts.
Wer sich wehrt, bezahlt die Zeche mit langjährigen teuren Verfahren. Es lohnt sich folglich für die Staatsorgane (wie aktuell in mehreren Oberwalliser Gemeinden zu berichten), dass Verfügungen unkorrekt ausgestellt werden und die eigenen Gerichte lange Sonderfristen für Stellungsnahmen geben, Hauptsache, die Verfahren ziehen sich in die Länge.
In der Zwischenzeit können Millionenbeträge kassiert werden, für die es keine gesetzliche Grundlage gibt und die bestenfalls zu einem Bruchteil rückerstattet werden müssen. Dazu passt im übrigen auch, dass (wie in Grächen) Kurtaxenreglemente mittlerweile längst rückwärtig in Kraft gesetzt werden, genauso wie beim Inkasso der ordentliche Rechtsweg über die Betreibung in allen Reglementen im Oberwallis eliminiert wurde.
Nur eines wird nicht erreicht, der Tourismus wird nicht gestärkt, sondern nachhaltig und auf lange Zeit zerstört. Solange die Kassen klingeln, wird bei den Verantwortlichen wohl kaum Vernunft einkehren. Für die Zweitwohnenden dürfte dies anders sein, wer einem solchen mittelalterlichen Raubrittertum machtlos ausgesetzt ist, wird der Destination, wenn nicht für immer, so doch für lange Zeit fernbleiben. Das ursprüngliche Ferienmärchen endet im gesetzeslosen Alp(en)traum.
P.S: Wer von der Kurtaxensteuer betroffen ist, hat bis zum 9. Juli 2018 Zeit, sich mit einer Beschewrde beim Bundesgericht zu wehren. Es können die Musterklagen auf dieser Homepage (auf Grächen anpassen!) verwenet werden. Nur so kann die Kurtaxensteuer angefochten werden. Wer die Frist verpasst, verwirkt faktisch alle Rechte, das Anfechten der Rechnung selber ist mit weit höheren Kosten und einem enorm langen Prozessweg verbunden.